Lesetipp Erleuchtung in Advaita der Siddhas

Auszug aus dem Satsang von Swami Vishnudevananda Giri


Was ist Erleuchtung?


Es wurden viele Bücher über die Erleuchtung geschrieben. Und alle spirituellen Meister, die Erleuchtung erlangt haben, sprechen darüber. In verschiedenen Traditionen findet man unterschiedliche Definitionen dieses Bewusstseinszustandes. Diese Beschreibung von Erleuchtung basiert auf der Advaita-Tradition der Siddhas.


Erleuchtung (Bodha), so wie das Vedanta darüber spricht, kommt nicht, bevor die Reinigung der Karmas von früheren Abdrücken im Bewusstsein (Vasanas) stattgefunden hat, also die Auflösung und Zerstörung der Selbst-Identifikation mit dem Verstand (Mano-Nasha). Zuerst muss die Macht des Verstandes über das Selbst aufgegeben werden. Dann kann die alles entscheidende Auflösung des Egos (prapatti) erfolgt und die Selbsthingabe an Gott (Atma-Nivedana) vorhanden sein.


Die Überwindung des Verstandes zielt nicht auf den Verstand als solchem, sondern nur auf seine Macht über das Selbst und auf die Selbst-Identifikation mit ihm.


Erleuchtung – eine subtile lichtvolle Bewusstheit jenseits des Verstandes


Alle großen und berühmten Erleuchteten in dieser Tradition, die das Wissen um das Absolute (Brahma-Jnana) besitzen – Dattatreya, Vasishtha, Vyasa, Gaudapada, Shankara, Vidyaranya –, erscheinen den Menschen als Genies, als große Philosophen, als kultivierte Intellektuelle. So könnten weltliche Menschen über sie urteilen. Aber in Wirklichkeit sind sie eben nicht im klassischen Sinne intellektuell. Sie sind keine Intellektuellen, sondern vielmehr Anti-Intellektuelle. Sie haben zwar einen sehr klaren und starken Verstand, sie identifizieren sich jedoch überhaupt nicht mit ihm, weil ihr Bewusstsein nicht der Verstand ist, sondern sich jenseits davon befindet (amanaska).


Die Frage ist also: Was bringt uns die Erleuchtung? Naturgemäß keine äußerlichen Vorteile. Es handelt sich weder um übernatürliche Kräfte (Siddhis), noch um einen sozialen Status oder um einen spirituellen Titel. Man muss weiter seine Busfahrkarte bezahlen, wenn man irgendwohin fahren möchte. Es gibt nur einen Vorteil: Man ist überall und immer wirklich bewusst.


Die Unwirklichkeit der Welt und die Realität des Absoluten


Überall und immer ist man sich der Unwirklichkeit der Welt und der Realität von Brahman, dem Absoluten (dem transzendentalen Bewusstsein, das alles durchdringt), bewusst. Überall und immer ist man sich der illusorischen Natur des eigenen Pseudo-Ichs und der Realität des Selbst (Atman) im Inneren und seiner vollständigen Einheit mit dem Absoluten bewusst.


Die äußere Vielfalt bleibt weiterhin sichtbar, aber nur als Peripherie und als illusorisches Spiel eines Bewusstseins, das alles als Einheit empfindet. Und dann werden alle Anhaftungen und Illusionen verschwinden. Im Außen wird alles so bleiben, wie es war, aber im Inneren wird sich alles völlig verändern.


Alle Probleme werden verschwinden. Nicht in dem Sinne, dass man nicht mehr friert oder keine Nahrung mehr braucht. Sondern weil man sich nicht mehr mit der Person in Form des Verstandes und des Körpers identifiziert. Stattdessen identifiziert man sich mit dem unendlichen Bewusstsein, das spielerisch diesen Körper nutzt.


Jenseits des Egos


Man sucht nicht länger nach sich selbst, sondern ist im Wissen und in der Selbsterkenntnis seiner selbst als das Absolute (Pratyabhijna) gewiß. Der Berg des Egos wird zusammenbrechen, und der Raum des unendlichen, ewigen, unzerstörbaren „Ich-bin“-Bewusstseins wird erstrahlen. Alle Hoffnungen und Ängste verschwinden, egal ob allmählich oder schnell. Die gesamte Illusion der Vielfalt vergeht. Das Eine wird wichtiger sein als die Vielfalt. Der Zustand jenseits des Verstandes wird als wichtiger empfunden als alle Worte und Theorien. Das Wunderbare hat mehr Bedeutung als das Gewöhnliche. Die Sattarka-Logik der Siddhas und Götter (siehe den Artikel "Multirealität des Bewusstseins" ) wird relevanter als die aristotelische Logik gewöhnlicher Menschen.


Nichts mehr wird eindeutig sein. Bewertungen und Reflexionen des Verstandes verschwinden, das Gefühl der Selbstgefälligkeit ebenso. Die Betrachtung des Absoluten, des Brahmans, wird mühelos und natürlich.


Demut, Furchtlosigkeit, Liebe, Mitgefühl, Weisheit und Klarheit entstehen von selbst aus dem Inneren.


Spontane und schrittweise Erleuchtung


Ungefähr 12 Jahre nach der Erfahrung der ersten Erleuchtung wird die göttliche Empfindung (Brahma-Aham-Bhava) fest in das Leben integriert und mit allen Aspekten des Wesens und der Existenz verbunden sein, einen bis zum Rand ausfüllen und zur dominanten Tatsache der Existenz werden. Nach etwa weiteren 8 bis 12 Jahren erkennt man im Wachzustand und im Traum periodisch ein tiefes, unergründliches, bewusstes Licht. Und die Zeiten dieser Erfahrung nehmen zu und werden immer länger.


Dieses Licht offenbart so große Geheimnisse, wie sie nicht einmal im Traum vorstellbar sind. Dies ist der Beginn des Lebens in der Dimension des Mysteriums – dem beeindruckenden, unergründlichen, absurden und paradoxen Mysterium der Existenz. Man wird verstehen, es aber niemals ausdrücken oder anderen erklären können. Man sieht dann in allem nur das eine göttliche Bewusstsein.


In der Erleuchtung besteht das Bewusstsein der Einheit der göttlichen Natur des Universums als Einheit des Selbst mit dem Universum. Dies ist die kontinuierliche Wahrnehmung der ausschließlichen Göttlichkeit nicht nur des eigenen Selbst, sondern von allem und jedem. Und das ist erst der Anfang.


Mehr über den Autor und die Lehre unter https://de.advayta.org.


Und in den Büchern von Swami Vishnudevananda Giri: „Der Pfad der spontanen Erleuchtung“, „Leben in der Multirealität“, „Shakti Yantra“, „Laya Yoga“, Kundalini Yoga“, „Spirituelle Alchemie“, „Ich bin“, „Kodex eines Meisters“, „Leben in Gott“, „Nada und Jyoti Yoga“.