Ich möchte dir heute einen Hammer-Text (mein Eindruck) zum Thema Angst und wie sie in Menschen wirkt vorstellen....
Für diesen Text musst du dir Zeit nehmen, denn darin ist enorm viel verpackt.
Der Text spricht mich an, weil er nicht mit wissenschaftlichem Dünkel und spiritueller Sosse überlagert ist, sondern genau analysiert und beschreibt.
Das Ziel dieses Textes ist NICHT, die Angst als das Gegenteil der Liebe oder mangelndem Vertrauen zu schildern, sondern schlicht und einfach wie sie in Menschen zu wirken beginnt.
Und hier der Text aus dem Buch "Schiffbruch mit Tiger" (welches übrigens auch eindrücklich verfilmt wurde)
Angst ist der einzige echte Feind des Lebens. Nur Angst kann das Leben bezwingen.
Angst ist ein kluger, raffinierter Gegner, das weiß ich aus Erfahrung. Sie kennt keine Moral, akzeptiert keine Gesetze und keine Konvention, sie ist unerbittlich. Sie sucht sich bei jeden den schwächsten Punkt und findet ihn ohne Mühe. Sie beginnt ihren Angriff im Kopf - immer.
In einem Moment fühlt man sich noch ruhig, selbstsicher, glücklich. Dann schleicht sich die Angst in den Verstand wie ein Spion, gehüllt in den Mantel des leisen Zweifels. Man begegnet dem Zweifel mit Unglauben, und der Unglaube will ihn verscheuchen. Aber der Unglaube ist ja nur ein armer, schlecht bewaffneter Fußsoldat. In ein paar Zügen hat der Zweifel ihn besiegt. Man spürt eine Beklommenheit. Die Vernunft springt in die Bresche. Man ist beruhigt. Die Vernunft ist schließlich nach den neuesten Erkenntnissen der Waffentechnik gerüstet. Aber zu unserem großen Erstaunen unterliegt, trotz überlegener Taktik und einer Reihe von siegreichen Scharmützeln, auch die Vernunft. Wir spüren, wie wir schwach werden. Unsicher. Aus der Beklommenheit wird Angst.
Jetzt nimmt die Angst sich den Körper vor, der längst weiß, dass da etwas nicht stimmt. Längst schon sind die Lungen fortgeflogen wie ein Vogel, die Eingeweide winden sich wie eine Schlange davon. Jetzt lässt sich die Zunge fallen wie ein Opossum, und das Kinn galoppiert dazu auf der Stelle. Die Ohren werden taub. Die Muskeln zittern, als hätte man Malaria, und die Knie schlackern, als wären sie auf dem Tanz. Das Herz zieht sich zusammen, dafür weitet der Schließmuskel sich. Und immer so weiter, der ganze Körper. Jeder einzelne Teil versagt, jeder auf die Weise, auf die er es am besten kann. Nur die Augen bleiben aufmerksam. Sie registrieren jeden Schachzug der Angst genau.
Nicht lange, und man macht Fehler. Man lässt seine letzten Verbündeten ziehen: Hoffnung und Vertrauen. Und schon hat man sich selber besiegt: Die Angst, die doch nichts war als ein Hirngespinst, triumphiert. Es ist nicht leicht, diese Dinge in Wort zu fassen.
Denn echte Angst, diejenige, die uns bis in die Grundfesten erschüttert, Angst etwa, die wir spüren, wenn wir dem Tod ins Auge blicken, nistet sich in der Erinnerung ein wie ein Faulbrand: Sie lässt alles verrotten, selbst die Worte, mit denen wir von ihr sprechen. Man muss um diese Worte ringen. Man muss kämpfen und das Krebsgeschwür ins Licht der Worte zerren. Denn wer das nicht tut, wer seine Angst im wortlosen Dunkel lässt, wem es womöglich sogar gelingt, sie zu vergessen, der öffnet sich jedem neuen Angriff der Angst, weil er mit dem Gegner, der ihn beim ersten Mal bezwang, nie wirklich gerungen hat.