Stufen der Paradiese

Stufen der Paradiese


Das Paradies symbolisiert einen inneren Zustand eines Menschen. Natürlich gibt es wunderschöne astrale Welten mit paradiesischen Zuständen. In der orthodoxen Kirche gibt es ein passendes Sprichwort: „Nicht die Heiligen sind im Paradies, sondern das Paradies ist in den Heiligen“. Das Paradies ist ein Bewusstseinszustand. Ist die Bewusstheit eines Menschen klar, subtil und lichtvoll, befindet er sich in gewisser Hinsicht im Paradies.


Im Laya Yoga gibt es eine interessante Klassifikation von Bewusstseinszuständen, genauer gesagt, der Bewusstseinsstärke, um negative und störende Aspekte des Bewusstseins zu befreien oder aufzulösen. Ist das Bewusstsein stark und in sich vertieft, ist man frei und dadurch mehr oder weniger im Paradies.


Auszug aus „Laya Yoga. Das Leuchten der kostbaren Geheimnisse“:


Die vier Ebenen der Vertiefung des natürlichen Zustandes bestehen aus:


• Selbstbefreiung (pratimoksha)


• Selbsttranszendierung (prapatti)


• Selbsterkenntnis (pratyabhijna)


• Ursprüngliche Weisheit (Prajnana)


Im Laya Yoga gibt es drei aufeinanderfolgende Stufen der Vertiefung der Kontemplation:


Selbstbefreiung (pratimoksha) meint, dass wir uns bemühen, bewusst zu sein und die volle Aufmerksamkeit auf Handlungen, Gedanken und Leidenschaften zu richten.


Selbsttranszendenz (prapatti, wörtlich „sich selbst hinwerfen“) bedeutet, dass der Yogi sich nicht bemüht, das Bewusstsein aufrechtzuerhalten, sondern dem ursprünglichen Licht des Bewusstseins erlaubt, sich zu manifestieren, Handlungen zu erleuchten oder Leidenschaften zu beseitigen. Der Yogi verlässt sich in allem auf den natürlichen Zustand. Anstatt mit Gedanken und Emotionen zu kämpfen, werden Gedanken befreit, sobald sie entstehen, d.h. ihre Auflösung erfolgt im Augenblick ihres Eintretens. Der Yogi erkennt die Unendlichkeit, Reinheit und absolute Perfektion des höheren Selbst und verlässt sich vollständig darauf, indem er den Strahl des Bewusstseins kontinuierlich darauf fokussiert.


Selbsterkenntnis (pratyabhijna): Auf der Stufe der „Selbsterkenntnis“ ist der Yogi vollständig mit dem natürlichen Zustand verschmolzen. Leidenschaften und Gedanken werden von selbst befreit, wie ein Stück Zucker, das in Wasser aufgeht. Gedanken werden im leeren Geist des Yogis geboren, und da sie keine Unterstützung gefunden haben, lösen sie sich auf, ohne auch nur kurz Zeit zu haben, sich vom natürlichen Zustand zu trennen. Tatsächlich gibt es keinen Unterschied zwischen ihrem Entstehen und ihrer Befreiung – Gedanken werden im Moment des Entstehens befreit. Das geschieht spontan und mühelos, wie ein Spiel. Diese Methode gehört zum eigentlichen Laya Yoga, die ersten beiden sind als vorbereitend zu sehen.


Die ursprüngliche Weisheit (Prajnana) ist keine Ebene der Verwirklichung, sondern das immer vorhandene Licht des Raums des ursprünglichen Bewusstseins, das sich im Moment der Selbsterkenntnis eröffnet.


Selbstbefreiung


Die Methode der „Befreiung durch bloße Aufmerksamkeit“ (Pratimoksha) erfordert Anstrengung, um sie aufrechtzuerhalten. Nachdem Gedanken oder Leidenschaften auftauchen, werden sie dadurch aufgelöst, dass wir uns ihrer direkt bewusst sind, sie beobachten und ihnen nicht folgen. Wenn wir bewusst sind, stellen wir sofort fest, dass Gedanken und Leidenschaften in dem Sinne an sich leer sind, dass sie vom Bewusstsein abhängig sind und von diesem erzeugt werden. In dem Moment, in dem wir unsere Aufmerksamkeit von der Leidenschaft selbst zu ihrer Quelle (dem Bewusstsein) lenken, löst sie sich auf. Diese Methode eignet sich für Anfänger-Yogis und Leidenschaften und Gedanken werden hier mit Feinden oder Dieben verglichen. Der Vorgang ähnelt einer Person, die mit einer Lampe, die sie trägt, die Steine und Wurzeln der Bäume auf dem Weg unter ihren Füßen sieht, sie umgeht und ihren Weg fortsetzt.


Selbsttranszendierung


Auf der Stufe des Abschneidens des Ichs, der Selbsttranszendierung („prapatti“), lösen sich die Gedanken im Moment ihres Auftretens auf, so wie sich ein König, der auf seinem Thron eingeschlafen ist, beim Erwachen sofort und ohne Anstrengung an sich selbst als König erinnert, auch wenn er sich im Traum als Bettler gesehen hat; oder wie ein schlafendes Kind, das in den Armen seiner Mutter träumte, es sei verlorengegangen, mühelos aufwacht und sich sofort sicher fühlt. Das Auftauchen von Gedanken und ihre Auflösung erfolgen gleichzeitig, es gibt kein Intervall zwischen ihrem Erscheinen und Verschwinden, ähnlich wie Kreise auf dem Wasser sofort verschwinden. Das Stadium der Selbsttranszendierung beinhaltet keine Anstrengungen, sondern tritt spontan auf. Es ist nicht erforderlich, Gedanken oder Leidenschaften zu unterdrücken. Der Yogi verlässt sich absolut auf die spontane Barmherzigkeit des Lichts der Klarheit der selbstgeborenen Weisheit der absoluten Quelle, taucht darin ein und vertraut ihm den Prozess der Gedankenauflösung voll und ganz an. Entstehende Gedanken lösen sich auf und kehren zu der Quelle zurück, aus der sie entstanden sind, zum natürlichen Zustand. Das reine Licht der Urweisheit, seine Energie, befreit die Gedanken ohne Grund und Anstrengung (spontan), wie aus Barmherzigkeit, so wie ein mitfühlender König ohne Anlass beschließt, den Armen Gold zu geben. Leidenschaften und Gedanken erzeugen Energie (Shakti), die ursprüngliche Weisheit; oder besser gesagt, sie selbst sind diese Energie, und aufgrund derselben Energie werden sie auch aufgelöst. Je stärker die Leidenschaften oder Gedanken (wie Wut, Angst, Lust) sind, desto stärker ist die Reaktion des Prajnana-Lichtes und desto mehr Klarheit entsteht, wenn sich die Leidenschaften und Gedanken auflösen.


Auf dieser Ebene heißt es, dass Gedanken und Leidenschaften aufhören, Feinde zu sein, und zu Helfern, zu Brennholz oder Brennstoff für die Kontemplation werden. Der Prozess der Kontemplation ist wie ein Opferfeuer, Gefühle sind wie Brennholz und Handlungen sind wie ein Opferprozess. Gedanken werden nicht mehr unterdrückt, sondern ohne Akzeptanz oder Ablehnung gelassen, sie werden als Energiespiel der universellen Quelle des Seins angesehen, wie Wellen auf der Oberfläche des Ozeans.


Wichtig ist hier die Kontemplation, das absolute Vertrauen in das Licht der universellen Quelle des Seins, die Klarheit der selbstgeborenen Weisheit des Ichs und die Auflösung der vom individuellen Ich ausgehenden Bemühungen, die Auflösung der Meditation und des Meditierenden. Das Abschneiden vom Anhaften und vom konzeptionellen Denken, das auf Akzeptanz und Ablehnung basiert, die Beseitigung des Anhaftens an vergangenen Erfahrungen wird durch reine Kontemplation ohne Bewertung und Urteil erreicht, also ohne irgendetwas als richtig und falsch, rein und unrein, schlecht und gut zu definieren. Diese Art der Präsenz wird von Yogis mit einem heroischen (vira) Temperament des Geistes praktiziert. Dabei bleibt immer noch ein subtiler Schleier der Dualität übrig, es wird ein bestimmtes Subjekt bewahrt, das – ständig an der Betrachtung der Quelle festhaltend – sich ständig selbst transzendiert, sich mit der Quelle identifiziert und seine Wertungen und Bemühungen abschneidet. Das ähnelt ein wenig dem Bhakti Yoga in den dualistischen Lehren des Tantras, mit dem Unterschied, dass das klare Licht der Weisheit unseres Bewusstseins, das wir nicht getrennt von uns sehen, die Rolle der sonst äußeren ausgewählten Gottheit, der sich der Bhakta hingibt, spielt.


Selbsterkenntnis


Wenn zum Zeitpunkt des Lebens in einem materiellen Körper der Geist dem Himmel gleichgemacht wird, was bleibt übrig, um wiedergeboren zu werden, wenn der Körper fallen gelassen wird?“


Mahasiddha Saraha


Auf der höchsten Ebene, der Selbsterkenntnis, ist der Yogi so tief in die kontemplative Präsenz eingetaucht, dass er die unreinen Prozesse von Samsara und die Reinheit von Nirvana für sich nicht trennt. Die eigenen Wertungen und der Meditationszustand sind überwunden, der Meditierende ist aufgelöst. Der Yogi hat keine Begrenzungen, da er in der vollkommenen Offenheit des Geistes raumgleich ist. Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Entstehen von Gefühlen, Leidenschaften oder Gedanken und ihrem Nichtentstehen. Es spielt keine Rolle, ob sie rein sind oder nicht, es spielt keine Rolle, ob sie dem Konzept der Tugend entsprechen oder nicht. Alles hat den „einen Geschmack“ (samarasya). So wie ein Löwe sein Spiegelbild in einem See sieht, wenn er Wasser trinkt, und keinen Zweifel daran hat, dass er ein Löwe ist, hat der Yogi wahres Verständnis der Nicht-Dualität erlangt. Den Leidenschaften und Gedanken wird keine Bedeutung mehr beigemessen, sie sind nichts weiter als ein Energiespiel an der Oberfläche des absoluten Bewusstseins, dessen eigentlicher Ausdruck, und weil sie ursprünglich rein sind besteht keine Notwendigkeit, sie zu kontrollieren und zu befreien. Das bloße Auftauchen von Gedanken ist ein Ausdruck des kreativen Spiels des erwachten Bewusstseins. Die Auflösung von Gedanken und Emotionen ist spontan und erfordert keine Anstrengung – oder besser gesagt, eine Auflösung ist überhaupt nicht erforderlich, weil alles im Lichtraum der großen Weisheit des Bewusstseins gleich zu Anfang aufgelöst wurde. Dies ist die Ebene der absoluten Verwirklichung eines Yogis.


Das war ein Auszug aus dem „Laya Yoga. Das Leuchten der kostbaren Geheimnisse“ von Swami Vishnudevananda Giri


Mehr über den Autor unter https://de.advayta.org und in den Büchern des Meisters : „Leben in Gott. Autobiographie eines Jnanis“, „Kodex eines Meisters“, „Spirituelle Alchemie. Der Weg der inneren Askese“, „Nada und Jyoti Yoga“,„Ich bin. Spirituelle Alchemie der inneren Universums“