Der Judaskuss

  • Wie war das Verhältnis zwischen Judas und Jesus? War Judas ein Verräter oder hatte er mit Jesus viel mehr gemeinsam, als wir annehmen? Vielleicht zeigt uns die Figur des Judas auch einiges für unsere Spiritualität - jenseits von Kirche und Bibel. Ein paar ungewöhnliche Betrachtungen.


    In christlich-fundamentalistischen respektive evangelikalen Kreisen, welche die Bibel wortwörtlich nehmen, ist der sogenannte "Verrat" durch Judas das Schlimmste was passieren konnte. Judas wird ja als Teufel bezeichnet. Doch Jesus begrüsst ihn im Garten Gethsemane mit den Worten "Freund, wozu bist du hier ?..." Eine recht intime, vertraute, freundschaftliche Anrede für einen schlimmen Teufel oder Verräter...


    Es gibt eine andere Deutung dieser Geschichte, die diesen "Kuss" (auf die Wange) in einem andern Licht erscheinen lässt. Judas war nämlich gar nicht ein Feind von Jesus, sondern neben Johannes (Bruder und angeblich Lieblingsjünger von Jesus) einer der treusten Freunde und Anhänger. Vielleicht hat Judas als einer der wenigen, die Tiefe der Botschaft von Jesus wirklich verstanden.


    Erst wenn man sich völlig einer Sache hingibt, wenn man sogar bereit ist, sein Leben welches nur an Materiellem haftet, aufzugeben und "Gott" in die Hände legt, ihm übergibt, kann etwas vollkommen Neues entstehen. "Das Leben Gott in die Hände legen" heisst schlicht und einfach: Ich selber entscheide mich bewusst dazu bedingungslos zu vertrauen, und das Leben so zu nehmen wie es ist... Denn die Begriffe "Leben" und "Gott" sind auswechselbar. Sie bedeuten ein und dasselbe.


    Wenn Judas als einer der wenigen Jünger/Innen das verstanden hat - dann kann dieser Kuss, als Segen- und Abschiedszeichen, oder Bruderkuss und Zeichen der Verbundenheit gedeutet werden, nicht als Verrat. Vermutlich hat Judas darauf vertraut, dass es gut war, so wie es war.


    Die Kirchenoberen scheinen nach meiner Meinung hier bewusst sehr vieles auf schlimme Art verfälscht zu haben. Angst ist eben ein perfides Mittel, um die Massen unter Kontrolle und Abhängigkeit zu halten (das ist übrigens heute noch genau so - nicht nur in der Religion, besonders bei Abstimmungen, wo auch viel mit der Angst argumentiert wird).


    Studiert man die Bibelstellen zu Judas, die alle Jahrzehnte bis Jahrhunderte auseinanderliegen, wird die Gestalt des Judas immer schlimmer dargestellt, darüber gibt es viel interessante, seriöse Literatur.


    Leider hat der alte Reformator Martin Luther das Wort "Übergabe" und "Verrat" (beide sind im Alt-Griechischen Urtext ähnlich grie. 'paradidômi') nicht genau übersetzt und so viel Unheil verursacht. Dieser Umstand wurde von der Kirche wahrscheinlich bewusst nie geändert.


    Jesus sagte ja (wenn das wirklich so geschehen ist...) beim letzten Essen mit seinen Jüngern den "Verrat" oder eben besser die "Übergabe" an die Tempelwache im Garten Gethsemane durch Judas voraus. Vielleicht haben sich ja die beiden auch abgesprochen.


    Kurzum: ich glaube nicht daran, dass der Judas seinen Freund Jesus verraten hat. Ich glaube er war dazu bestimmt, das Schicksal von Jesus zu erfüllen. Damit hat er der Menschheit einen tiefen Dienst erwiesen. Jesus hat sich den Menschen hingegeben und uns allen gezeigt, dass alle Menschen, egal woher sie kommen, wer sie sind, was sie an guten oder bösen Taten machen, alle Gottes Geschöpfe, Gottes Kinder sind.


    Ob Jesus am Kreuz starb oder nicht, ob er für unsere Sünden gestorben ist oder nicht, ist für mich persönlich nicht wesentlich. Wirklich wesentlich ist für mich, dass uns Jesus Christus, zeigte und zeigt, dass niemand vom Grossen und Ganzen, vom Leben getrennt sein kann. Erleben wir das in unserem Leben wirklich im Herzen und nicht einfach als Gedanke, erfahren wir die tatsächliche Christusenergie.


    Das Christusbewusstsein überwindet in uns den Gedanken von Trennung, Schuld und Sünde und zeigt, dass es sich hierbei um Illusionen und Hirngespinste handelt, die uns der Verstand als Realität vorgaukelt. Es zeigt uns um was es wirklich geht. Wenn es so etwas wie Sünde gibt, dann hat das nichts mit Vergeltung, Verdammnis oder Hölle zu tun, sondern, an seinem Lebensziel vorbei zu leben. Sein Leben nicht zu leben. Nicht bewusst im Hier und Jetzt zu sein, sondern entweder in der Vergangenheit oder der Zukunft. Christusbewusstsein sagt auch aus, dass Gott keine Opfer von uns braucht, ja auch keine Verehrung. Gott ist nicht abhängig von uns, sonst wäre er nicht Gott, sondern eher eine von Menschen abhängige Projektionsfigur.


    Gott, oder das Ummanifeste, verlangt von uns auch keine spirituelle Weltflucht, hin zu Engeln und andern Energiewesen. Wenn ich mich dem Mitmenschen zuwende, ihn unterstütze, ihm helfe, so gut es mir möglich ist, dann ist das eine Spiritualität, die lebt, weil sie sich mit dem Spirit, der ich bin und der in mir lebt verbindet. Dann kann ich mich selber annehmen. Dann werde ich quasi von der göttlichen Kraft ins eigentliche Leben wachgeküsst ... oder etwas anders ausgedrückt, dann lebt der Geist des Ummanifesten wirklich in mir.


    In diesem Sinne ist Jesus für mich ein Meister der Hingabe, ein Mensch, der uns zeigt, was tiefes Vertrauen, Hoffnung und Liebe vermag, nämlich den Tod (er starb ja laut Bibel am Kreuz) zu überwinden. Ich verstehe Tod nicht als Ende, sondern als ein Prozess des Übergangs.


    © des Textes beim Autor Daniel pAdr Spirit.Community 07/2015


    Namasté