"Es macht etwas aus, dass ich lebe"

In einer kleinen Gruppe beschäftige ich mich seit Anfang Jahr mit den 12 Schriftrollen der Essener. Wir tauschen uns im kleinen, geschützten Rahmen regelmässig über unsere Erfahrungen in dieser Arbeit aus. Die folgenden Zeilen möchte ich jedoch bewusst mit der Öffentlichkeit teilen, da sie ein Thema betreffen (3. Schriftrolle), das uns jeden Tag des Öfteren begegnet. Denn wir leben in einer Welt, wo der Mangel an Liebe und die Tatsache, dass dieser Mangel uns auch zu Taten veranlassen kann, die viel Leid verursachen, leider schon fast alltäglich sind.


Jeder von uns trägt die Sehnsucht in sich, geliebt und anerkannt zu werden. Wir hegen alle den Wunsch, die Bestätigung zu erhalten, "dass es etwas ausmacht, dass wir leben", dass wir für andere "wichtig" sind. Wenn wir diese Bestätigung nicht bekommen, streben wir nach Ersatz (wie z. B. Besitz, Macht, Ruhm etc.), um den Mangel zu kompensieren. Eine Form der Kompensation kann auch der Hass und die Zerstörungswut sein, denn wenn wir nicht auf friedliche Art und Weise zu unserer Bestätigung, wichtig zu sein, kommen, dann besteht auch die Möglichkeit, den Mangel durch das Ausleben von Gewalt zu kompensieren. Denn dann wird ja auf oft grausame und drastische Weise sichtbar, "dass es etwas ausmacht, dass wir leben".


In mir hat dieses Bewusstsein sehr viel ausgelöst und mir aufgezeigt, wie wichtig es ist, andere Menschen nicht einfach zu verurteilen und mit dem Finger auf sie zu zeigen, wenn sie etwas tun, dass wir nicht billigen können. Natürlich gibt es keine Entschuldigung für ein Verbrechen - es gibt jedoch ein Verständnis dafür, das wir alle in uns entwickeln dürfen. Es ist wichtig, dass wir bei UNS bleiben und bei uns selber nach einem Mangel an Liebe und Anerkennung suchen. Und wenn wir ihn entdecken, dann gilt es, den eigenen Mangel anzuschauen und auszugleichen, indem wir in erster Linie uns selber das geben, was wir im Aussen so sehnlichst zu erhalten wünschen.


Wenn wir dies zutiefst erkennen und einsehen, haben wir die Chance zu erfahren, was Liebe wirklich ist. Sie fängt bei uns selber an und entwickelt sich dann weiter, indem wir zunehmend fähig werden, Liebe weiterzugeben und von anderen zu empfangen. Wenn jeder von uns dies verinnerlicht und lebt, trägt er dazu bei, dass sich unsere Welt zum Guten verändern kann. Das ist der überaus sinnvollere Weg, als über die Geschehnisse in der Welt zu schimpfen oder zu klagen - etwas verändern können wir immer nur bei uns selbst. :sieg: