Struktur des Bewusstseins - der Weg zum ewigen Ich.

Erleuchtung ist eine Erscheinung aus einer anderen Welt, in der das Sein sich noch nicht zur Illusion umgeformt, die Zeit sich noch nicht geteilt und der Raum sich noch zu keiner Dimension reduziert hat. Unwissenheit ist nur in der verfestigten Welt grober materieller Objekte möglich, wenn das Bewusstsein auf die Ideen „Ich bin der Körper“ und „Die Welt existiert unabhängig von mir“ fixiert ist.“


Swami Vishnudevananda Giri, „ICH BIN. Spirituelle Alchemie des inneren Universums“


Und diese Welt ist in uns, immer und in jedem Augenblick. Sie wartet nur darauf, entdeckt zu werden.


Ich bin weder die Freuden noch gehören mir diese an; auch nicht bin ich dieser Intellekt und die Sinnesorgane noch gehören diese mir an, denn sie sind leblos und ich selbst fühlend. Ich bin nicht der Verstand, welcher die Wurzelursache dieses unwissenden Zyklus von Geburt und Tod ist. Ich bin weder die Fähigkeit zur Unterscheidung noch der Ich-Sinn, denn dies sind nur Ideen, die im Verstand auftauchen. Was bleibt dann übrig? Was verbleibt, ist der fühlende Jiva (Seele). Jedoch ist dieser in die Subjekt-Objekt-Beziehung verstrickt. Was das Objekt der Erkenntnis oder des Verstehens ist, ist nicht das Selbst. Daher gebe ich das auf, was gekannt werden kann – das Objekt. Was nun noch verbleibt, ist das reine Bewusstsein frei vom Schatten des Zweifels. Ich bin das unendliche Selbst, denn es gibt keine Schranke für dieses Selbst.“


Yoga Vasishtha, Kap. 5.59, „Die Geschichte von Suraghu“



Der Geist von Menschen, die nicht zur Selbsterforschung hingeneigt sind, sondern sich völlig in Samsara verstrickt haben (Ajnanis) ist auf äußere Objekte gerichtet.


Wegen dieser Fixierung haben sie keine Möglichkeit, sich selbst zu erforschen. Im Ergebnis kennen sie sich nicht, ihr Bewusstsein ist sehr verwirrt und sie erleben ständig Schwierigkeiten, Verwirrung und Leid.


Für Menschen der gewöhnlichen Welt, die üblicherweise nur die äußere Welt untersuchen, existiert eine Untersuchung des eigenen Bewusstseins (Vichara) so gut wie nicht. Das Fehlen von Vichara ist jedoch der Hauptgrund für Unwissenheit, Wiedergeburt und Leid sämtlicher Wesen.


Ein Jnani (ein Wissender) startet mit der Selbsterforschung seines inneren Instruments (Antahkarana), seines subtilen Körpers.


Bei dieser Untersuchung stellt ein zukünftiger Jnani fest, dass sein subtiler Körper aus folgenden Teilen besteht:


- Verstand (Manas)


- Intuitives Bewusstsein (Buddhi)


- Ich-Empfinden (Ahamkara)


- Gedächtnis, Aufbewahrung der Erinnerungen (Citta)


- Strom des Bewusstseins (Chaitanya)



Manas


Manas ist der Verstand, der mit Hilfe der Logik operiert. Manas schätzt ständig ein, urteilt, sucht aus, nimmt an und lehnt ab. Der Verstand selbst hat kein inneres Licht, er ist wie ein Werkzeug, das von Buddhi gehandhabt wird.


Seine Hauptfunktionen sind:


- Sankalpa: Wille und Absicht, auf Erwünschtes ausgerichtet, bei Ablehnung des Unerwünschten


- Vikalpa: Phantasie, Einbildung und Instabilität


- Manana: kontemplierende Selbstreflexion, Überlegen


Im Verstand eines Jnanis tobt während des Prozesses der meditativen Betrachtung und Selbsterforschung ein ständiger Kampf zwischen Sankalpa und Vikalpa, zwischen eigentlichem Wunsch und ablenkenden Träumereien. Gewinnt Sankalpa, folgt der Verstand seinen Vorsätzen, gewinnt Vikalpa, versinkt er in Phantasien und Ablenkungen.



Buddhi


Buddhi ist die höhere Intelligenz, das intuitive Unterscheidungsbewusstsein, das den Verstand reguliert. Buddhi erarbeitet die Strategie des Lebens, seine Werte und Ziele und gibt seinem Diener Manas Befehle.


Unterscheidungsvermögen und unterscheidende Weisheit, die beide Buddhi zu eigen sind, stellen das Schwert in den Händen des Jnanis dar. Versucht die Unwissenheit, seinen Verstand zu verwirren, schwingt der Jnani dieses Schwert und trennt die Unwissenheit vom reinen Bewusstsein ab. Diese Unterscheidung erlaubt es, den reinen Raum des einem Spiegel gleichenden Bewusstseins von allem zu trennen, was dies nicht ist – also vom Verstand, von äußeren Objekte und von anderen derartigen Widerspiegelungen.


Seine Haupteigenschaften sind:


- Unterscheidung (Viveka), also die Fähigkeit, das Wirkliche und das Unwirkliche voneinander zu trennen


- Leidenschaftslosigkeit (Vairagya), die Entsagung und die Kontrolle der Gefühle


- Zufriedenheit (Santosha), die Besänftigung des Verstandes, eine aus dem eigenen Inneren hervorgehende Harmonie, Selbstgenügsamkeit, ein Vollständigsein


- Ruhe (Shanti), innerer Frieden, Freude


- Geduld (Kshama), Demut, das Annehmen dessen, was geschieht



Ego


Das Ego (Ahamkara) gleicht einem Klebstoff, der alle Teile des Bewusstseins zu einer einmaligen Individualität zusammenbringt, die ein Gefühl ihrer eigenen Wertigkeit besitzt.


Seine Hauptfunktionen sind Stolz, Egoismus und Überheblichkeit, die auf dem Gefühl der eigenen Wichtigkeit basieren (Abhimana), auf dem Gefühl, etwas zu besitzen, sich anzueignen und auf dem Empfinden „das ist meines“ in Bezug auf Körper, Emotionen und Gedanken, die so als die eigenen erlebt werden (Madiya).


Dazu kommt das Gefühl, Glück und Unglück würden einem selbst gehören, die eigenen sein (mama-sukha, mama-dukha). Man empfindet „das ist meines“ und den Wunsch, etwas, das einem gefällt, nur für sich zu haben (mama-idam).


Die Heiligen charakterisieren das Ego als einen starken Geist, der – solange er nicht besänftigt ist – nur Leid hervorbringt, indem er den Menschen anleitet, Buddhi zu unterdrücken und das Bewusstsein zu verengen. Deswegen ist es unerlässlich, das Ego mit Praktiken wie die der Achtsamkeit, der Selbsterforschung, der Hingabe, des Dienstes, der Demuts und der Selbstaufgabe zu beschäftigen, solange es sich nicht gereinigt hat und noch nicht zu einem reinen, gehorsamen und folgsamen Instrument eines Jnanis geworden ist.


Ein solches Ego ist eine große Errungenschaft auf dem Weg des Jnanas, es ist eine reine Form von Sattva, es ist fähig, den Willen von Buddhi und das Licht und den Glanz des Atman hindurchzuleiten.



Citta


Citta, die Aufbewahrung der unbewussten Erinnerungen, gleicht einem großen persönlichen Archiv, in dem Aufzeichnungen aller Erlebnisse und mentaler Abdrücke (Samskaras) aufbewahrt werden. Genau diese Abdrücke bestimmen den Ort der zukünftigen Geburt, den Charakter, das Schicksal sowie Motivation, Inhalte, Werte und Ziele eines Menschen, sie bewegen ihn zum Handeln und formen verschiedene Eigenschaften. Ein Mensch ist das, an was er sich über sich selbst erinnert.


Sein Gedächtnis formiert sich auf der Grundlage der Erinnerungen aus der Vergangenheit und nimmt dann die Form der zukünftigen Tendenzen an.


Ein Jnani dringt in das Citta ein, sucht und analysiert Abdrücke und Aufzeichnungen und kann auf diese Weise seine innere Realität selbst formen. Indem er seine Erinnerungen und Abdrücke (Samskaras) reinigt, verändert er sein Schicksal. Er versteht, dass man zum Designer seiner Vergangenheit und seiner Zukunft werden kann, wenn man in der Lage ist, die Erinnerungen zu verändern, denn alles ist lediglich Ausdruck des Bewusstseins, nichts existiert wirklich.


Die Erinnerungen gleichen den Fotos in einem Album, bei dem die Fotos das Schicksal der abgebildeten Person bestimmen. Diese Fotos entsprechen den angesammelten Eindrücken, die man beliebig transformieren und löschen kann. Steigt man in die Tiefe des Citta hinab, also in die aufbewahrten persönlichen Aufzeichnungen, um die in dieser astralen Chronik angesammelten Eindrücke zu verändern – so wie bei Fotos im Album –, dann ändert sich auch das Schicksal der Person, in der Vergangenheit wie in der Zukunft.


Die Haupteigenschaften des Cittas sind:


- Smriti (Gedächtnis): die Ansammlung der Erinnerungen, ihre Aufbewahrung, der Überblick darüber, die Auswahl und Anwendung als Lebenserfahrung,


- Dhriti (Verfestigung, Stabilität): die Unerschütterlichkeit des Bewusstseins, das die Eindrücke erlebt.



Chaitanya


Chaitanya ist der Strom des sich selbst bewussten, sich selbst reflektierenden und durch nichts begrenzten Bewusstseins. Es umfasst die eigene innere Selbstreflexion und Selbstorganisation. Der Strom des Bewusstseins eines Jnanis hat keine Grenzen, er hat kein Zentrum, er durchdringt alles im Universum, es gibt nichts, was er nicht erreichen könnte. Alle Wünsche (Sankalpas) und Kräfte des Universums liegen in ihm als subtile Samen, die sich in dem Moment zum Ausdruck bringen können, wenn das Licht auf sie fällt.


Seine Funktionen bringen sich zum Ausdruck als:


- Vimarsha: Selbstreflexion, Überlegungen, Analyse, Synthese, Verallgemeinerung der Eindrücke der Sinnesorgane, Regulation der Gedankenströme


- Chintana: Bewusstheit, Widerspiegelung des Lichts des Atmans; die Fähigkeit, die meditative Bewusstheit auf die Weite des Himmels auszudehnen, während Verstand und mentale Prozesse stillstehen


- Shilana: das innere tiefe Gute, jene Selbstorganisation, die dem höchsten Ich zu eigen ist


- Nisprihatva: Unvoreingenommenheit; sich in einem Zustand befinden, in dem man nicht auswählt und demzufolge keine Wertungen und Meinungen entstehen


- Dhairya: Unerschütterlichkeit, Angstlosigkeit; und als Folge davon das Kennen der natürlichen Bewusstheit, einer Bewusstsein wie der Raum, ewig, unendlich, allgegenwärtig und alldurchdringend


Wenn der zukünftige Jnani mit Hilfe seiner Unterscheidungsfähigkeit die Struktur des eigenen subtilen Körpers klärt und seine Funktionen versteht, vergeht seine innere Verwirrung.



Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch „ICH BIN. Spirituelle Alchemie des inneren Universums“ von Swami Vishnudevananda Giri mit freundlicher Genehmigung des Phänomen-Verlages.


Mehr zum Thema erfahren Sie auf https://de.advayta.org und in den Bücher von Swami Vishnudevananda Giri:


„Laya Yoga – Das Leuchten der kostbaren Geheimnisse“


„Kodex eines Meisters. Der Weg der Vollkommenheit“


„Leben in Gott. Autobiographie eines Jnanis“


„Spirituelle Alchemie. Der Weg der inneren Askese“