Persönlichkeit und Identität

Persönlichkeit und Identität



Wer war ich damals?


Wenn Sie Comics in die Hand nehmen, die Sie als Kind gelesen haben, erinnern Sie sich und fühlen den Zauber der Kindheit.

Wenn Sie Ihre Kinderfotos anschauen und über den Grund nachdenken, warum dieses Kind dort auf den Fotos lächelt (oder nicht), wen betrachten Sie dann? Wenn Sie ein aktuelles Poesiealbum durchblättern oder an die Gedanken, Meinungen, Vorlieben, Vereine, Aktivitäten denken, die Sie jetzt schon verlassen haben und die nicht mehr in Ihr jetziges Leben passen, dann denken Sie über einen Menschen nach, der Sie nicht mehr sind.


Mit Hilfe unseres sozialen Umfeldes, mit Dokumenten und Zeugenaussagen haben wir uns eine subjektive Identität über all die Jahre bewahrt. Wenn wir aber nach innen schauen und uns fragen, wer wir sind, was unsere Einzigartigkeit ausmacht, dann sind wir auf spekulative Schlussfolgerungen angewiesen.


Seit unserer Kindheit hat sich viel verändert, einiges an charakterlichen Verhaltensweisen ist aber in bestimmten Situationen unverändert erkennbar. Außerdem haben wir die Fähigkeit, Gefühle, Bilder, Erinnerungen und die Art und Weise des Denkens aus unserer Vergangenheit zu reaktivieren - bis in die frühe Kindheit zurück. Diese kindlichen Gefühle, Vorstellungen und Einstellungen über die Zusammenhänge der Welt existieren immer noch in uns. Damit sind wir im Laufe der Zeit eigentlich eine Verkettung mehrerer Persönlichkeiten geworden.


Das komplexe Zusammenwirken von Eigenschaften des inneren und äußeren Verhaltens bestimmt unsere Persönlichkeit und bildet die Bausteine und die Quelle unserer Individualität und unserer Identität. Niemand kann für sich festhalten, was das Ich in ihm eigentlich ist oder was es war.




Was wissen wir über andere?


Schon als Kind konnten Sie einige Menschen "riechen", andere nicht: In wenigen Sekunden konnten Sie schon damals vermeintlich unterscheiden, wie jemand anderes wohl sei. Das Verhalten dieser Menschen haben Sie selbstverständlich durch deren Wesen erklärt - Ihr eigenes Verhalten allerdings war nur von den Umständen und der spezifischen Situation abhängig gewesen. Vermutlich ist das bei Ihnen auch heute noch so?


Vermutlich werden Sie diese Person "gesehen", die Körperhaltung und die Mimik in Ihrem "inneren Kino" wahrgenommen haben. Vielleicht tauchten auch Attribute auf wie Zuverlässigkeit und Warmherzigkeit. Damit ist ein subjektives Konstrukt der Persönlichkeit dieses Menschen für Sie erst einmal stimmig abgeschlossen.


Diese "magere" Ausbeute an Informationen würde anderen allerdings nicht deutlich machen, warum dieser Mensch besonders vertrauenswürdig ist. Scheinbar gibt es also tiefere Ebenen des subjektiven Wissens über Persönlichkeit.




Verzerrungen der Persönlichkeitswahrnehmung


Jeder trägt seine eigene Theorie über die Persönlichkeit in sich. Diese Konstruktion der Wirklichkeit setzt sich aus verborgenen inneren Bildern, Sätzen und Überzeugungen zusammen. Diese Theorien ermutigen uns, Lücken der äußeren Wahrnehmung kreativ zu füllen und das Erlebte für uns stimmig umzuformen. Wir unterschätzen dabei die vielen subtilen Einflüsse, die unerwünschtes Verhalten begünstigen, wie der Drang, zu sozialer Konformität.


Wir selbst sorgen häufig heimlich dafür, dass die Situation für unser Verhalten stimmig ist, oder beeinflussen das Verhalten anderer in unserem Sinne. Das erhöht unseren Glauben an die Konsistenz unserer Persönlichkeitsmodelle.


Wir sind außerdem in der Lage, uns in unserem Verhalten, unserem Denken und unserer Werthaltung in soziale Gefüge einzupassen und durch die Konsistenz dieser Eigenschaften unsere Identität zu definieren. Daraus ergibt sich eine banale Wahrheit:


Wenn alles so ist, wie wir es erwarten, sind wir, wer wir zu sein glauben.


Unsere Beobachtungsgabe ist in Bezug auf die Wahrnehmung von Persönlichkeiten sehr begrenzt. Häufig gewinnen wir unsere Informationen nicht aus der Wahrnehmung von Handlungen, sondern aus den Berichten über diese Handlungen:

"Hast du schon gehört, Herr Meyer hat gestern doch...!"




Unbewusste kognitive Verzerrungen


Die kognitiven Verzerrungen der Persönlichkeitswahrnehmung werden noch komplexer, wenn unbewusste Prozesse die Wahrnehmung und das Denken verformen. Dies geschieht durch Prozesse der so genannten psychodynamischen Abwehr und durch andere unbewusste Prozesse. Dies wurde größtenteils durch Siegmund Freud entdeckt und beschrieben. Freuds Liste dieser unbewussten kreativen Leistungen des Gehirns wurde später von anderen Psychoanalytikern ergänzt.

Einige unbewusste Mechanismen sind z.B.:


- Kompensation: die Überbetonung eines Charakterzuges, zur Verhüllung einer ungeliebten, nicht bewusst wahrgenommenen Schwäche.


- Verleugnung: die unbewusste Weigerung, eine unangenehme Wahrnehmung/Wirklichkeit zu registrieren.


- Verschiebung: die Verlagerung von aufgestauten - meist feindseligen - Gefühlen auf "Objekte", die diese Gefühle zwar nicht erzeugt haben, aber deutlich ungefährlicher sind.


- Sozio - emotionale Isolierung: die Vermeidung ängstigender Erfahrungen durch Isolierung oder durch Passivität in den entsprechenden

Lebensbereichen.


- Fantasie: Frustrierte Wünsche werden in Tagträumen befriedigt. Über die positive Kraft der Fantasie erfahren wir später mehr.


- Introjektion: Äußere bedrohende Werte oder Grundhaltungen werden in die eigene Persönlichkeit aufgenommen ("als wäre es meins"),

damit sie nicht mehr als Bedrohung von außen wahrgenommen werden.

Bsp: Täter - Introjektion bei Gewaltopfern.


- Isolierung oder Kompartmentbildung: Emotionale Regungen werden von angstbeladenen Situationen abgetrennt oder "unlogisch" straff und unzusammenhängend zergliedert.


- Projektion: Eigene verborgen erlebte Unzulänglichkeiten oder vermeintlich unmoralische Wünsche werden auf jemand anderen übertragen

("Man sieht seinen eigenen Balken oder den eigenen Schatten nicht mehr"). Dies ist eine sehr häufige Abwehrform.


- Rationalisierung: der illusionäre Glauben, das eigene Verhalten sei verstandesgemäß erklärbar. Unbewusste Regungen, Werte, Glaubenssätze etc. werden verleugnet. Stattdessen werden situative, scheinbar "auf der Hand liegende" Erklärungen für das eigene Verhalten geäußert.


- Reaktionsbildung: Angstbehaftete Regungen werden nicht wahrgenommen, indem gegenteilige Verhaltensweisen überbetont werden.


- Regression: der Rückgriff auf frühere, meist kindliche, kognitive und emotionale Strategien.


- Verdrängung: Unerwünschte Bilder, Gedanken, Impulse werden un - oder vorbewusst gehalten.

                          

- Sublimierung: die Verschiebung der körperlichen oder sexuellen Befriedigung in soziokulturelle Aktivitäten - wie Kunst und Kultur.


- Ungeschehenmachen: Wiedergutmachungen und Sühnewünsche oder Aktivitäten, um unmoralische Impulse oder Handlungen "reinzuwaschen".



Es ist sehr wichtig, dass man weder sich selbst, noch andere mit Offenlegung solcher Abwehrmechanismen "entlarven"!
Abwehrmechanismen sind nur Modelle eines geistigen Verarbeitungsprozesses.

Jedes Modell stellt eine kontextgebundene Konstruktion unseres Geistes dar. Es ist hilfreich, erklärt aber nicht die Realität!

Solche Konstruktionen können als Hilfestellung zur Selbsterkenntnis verstanden werden.

Gleiches gilt für alle, in diesem Blog, vorgestellten Modelle.