Die Einheitssphäre

Auszug aus dem Buch "Leben in der Multirealität. Parasattarka Logik" von Swami Vishnudevananda Giri



Zeit, Raum, Ursachen und Wirkungen gehen von der Einheitssphäre des Bewusstseins aus. Von der höchsten Quelle, die vom Yogi im Samadhi, im tiefen Zustand der Nondualität, als sein eigenes Bewusstsein in dessen ursprünglicher Reinheit erfahren wird.


Dieses ganze Universum, das aus dem Manifestierten und dem Unmanifestierten besteht, entsteht aus ihm. Sie besteht in ihm und wird in ihm aufgelöst“ (Avadhuta Dattatreya, „Tripura Rahasya“, Kap. 11)


Die höchste Quelle wird vom Subjekt im Moment des Samadhi (des überbewussten Zustandes), der Selbstuntersuchung, als nonduales Erlebnis des „Ich bin“ in seiner ganzen Tiefe und Fülle erkannt.


Ein Yogi, der das nonduale Bewusstsein erreicht hat, findet darin den Schlüssel zu einer einheitlichen Sicht des Raums und der Zeit. Er betrachtet sie als von der Einheitssphäre, der Quelle des Bewusstseins und höchsten Quelle, ausgehend.


„Durch das Wissen, das durch die Selbstuntersuchung entstanden ist, lehne beides, Mikrokosmos und Makrokosmos, als nicht real ab. Und indem Du in der unerschütterlichen Stille verweilst, bleibst Du in ewiger Ruhe und vollkommener Glückseligkeit als das unendliche Absolute.“ (Sri Adi Shankaracarya, „Vivekachudamani“)


Einheitsgeschmack als Schlüssel zum Eingehen in die Einheitssphäre


Der Schlüssel zum Aufstieg in die Einheitssphäre ist die Entdeckung des „Einheitsgeschmacks“ aller Phänomene. Das meint ein Empfinden der Welt in einer Weise, in der Zeit und Raum, Samsara und Nirvana, innerer und äußerer Wahrnehmungsraum als gleich angesehen werden. Die Dualismen von rein und unrein, gut und böse, Vergangenheit und Zukunft, Meditationszustand und Nichtmeditation sowie Ursache und Wirkung usw. werden transzendiert.


Auf diese Weise werden Zeit und Raum für den Yogi zur spielerischen Manifestation von Eigenschaften und Möglichkeiten. Ungetrennt von der höchsten Quelle, gleichen sie dem Schmuck der Einheitssphäre, dem allgemeinen Feld des ursprünglichen Bewusstseins.


„Kannst du Zeit und Raum zeigen, die nicht von Bewusstsein durchdrungen wären? Befindet sich nicht alles innerhalb deines Bewusstseins, wenn du darüber sprichst?“ (Avadhuta Dattatreya, „Tripura Rahasya“, Kap. 11)


In dieser Einheitssphäre befindet sich jedes Objekt nach dem Prinzip „alles in allem“. Und: „Was es hier gibt, gibt es überall.“ - Gleichzeitig und in jedem Moment an jedem Punkt des Raumes und der Zeit.


Variativität der Ursachen und Wirkungen


Ausgehend von dem Prinzip der Einheitssphäre, gebiert eine Ursache, die durch irgendeine Handlung oder irgendeinen Gedanken geschaffen wurde, keine Wirkung. Sondern sie ist ein Katalysator, der dazu beiträgt, dass in Zeit und Raum neue Universen mit anderen Charakteristiken, Möglichkeiten und Ereignissen erscheinen (vgl. die Theorie von Everett über parallele Universen).



Auf diese Weise erschafft eine als Katalysator fungierende Ursache die Wirkung nicht direkt, sondern indirekt. Die erschaffene Ursache ist das Ende eines inneren Universums einer karmischen Sichtweise und der Beginn eines anderen. Das bedeutet, dass jede wichtige karmische Handlung, die eine gewichtige Ursache erschafft, ein Akt der Erschaffung eines neuen Universums mit einem neuen Feld an Möglichkeiten ist.


Sie stimuliert (aktualisiert) ein schon existierendes neues inneres Universum oder einen neuen Zweig an inneren Universen und bringt sie zum Ausdruck - mit einer anderen karmischen Sicht und mit entsprechend neuen Knoten von Ereignissen in der karmischen Sicht eines Individuums (die ihm dann als im Universum seiner karmischen Sicht entstandene Wirkungen erscheinen).


Variativität der Universen der karmischen Sicht


Dies kommt auch bei einem Verschieben des Bewusstseins in ein neues Universum einer anderen karmischen Sicht zum Ausdruck, mit ähnlichen Parametern, aber mit kleinen Unterschieden in den Details.


Je gewichtiger die Empfindung ist, welche die Handlung begleitet, desto größer fällt die Verschiebung in ein neues individuelles Universum einer karmischen Sicht aus. Und dementsprechend entstehen große Unterschiede in den Qualitäten und Charakteristiken der darauffolgenden Knoten und Ereignisse. Eine Handlung als solche determiniert keine festen zukünftigen Ursachen und Wirkungen, weil sie nur den Zugang zu neuen Zweigen anderer karmischen individuellen Universen mit neuen Möglichkeiten und Charakteristiken eröffnet.


Dadurch kann man die Relativität des Ursache-Wirkungs-Gesetzes erklären: den Unterschied in der karmischen Verantwortung verschiedener Wesen für ein und dieselbe Handlung.


Dadurch kann man auch die Relativität von Werten (also die verschiedenen Interpretationen von gut und böse, von rein und unrein, von richtig und falsch) für Gottheiten, Yogis und gewöhnliche Menschen, die unterschiedlichen religiösen Kulturen angehören, erklären.


Was für den einen Nahrung ist, ist für den anderen Gift. Was Yogis und himmlischen Wesen auf eine ganz bestimmte Art und Weise erscheint, wird von anderen ganz anders wahrgenommen.“ (Avadhuta Dattatreya, „Tripura Rahasya“, Kap. 11)


Nonduales Bewusstsein als Schlüssel zur Freiheit


Nicht unbedingt aufgrund von Ursachen und Handlungen selbst, sondern in Abhängigkeit davon, wie tief ein Lebewesen das nonduale Bewusstsein, die Einheitssphäre, bereits für sich erschlossen hat, unterliegt es dem Gesetz der Ursache und Wirkung nicht mehr oder doch noch.


Das Bewusstsein eines gewöhnlichen, nicht erwachten Individuums bewegt sich in der Peripherie der Einheitssphäre, in dem er die schon subtil existierenden unterschiedlichen Möglichkeiten aktualisiert und deren Wirkung erfährt.


Sobald das Bewusstsein eines Yogis, der in den natürlichen Zustand hineingelangt ist, aufhört, sich in der Peripherie zu bewegen und ins Zentrum der Einheitssphäre vordringt, wird dieser zum Besitzer eines unendlichen Spektrums an Möglichkeiten und erfährt keine Auswirkungen von Zeit, Raum, Ursachen und Wirkungen.


Er, der das allgemeine „Ich“ ist, nimmt auf Wunsch unzählige Formen an und hat unzählige Erlebnisse.“ (Sri Adi Shankaracarya, „Vivekachudamani“)


Ein Yogi, der sich in dem natürlichen Zustand des „Ich bin“ befindet, wird von den harten Begrenzungen von Raum und Zeit befreit. Er wird fähig, Zeit und Raum gemäß seiner Absicht (seiner schöpferischen Affirmation) zu formen.


Die Beziehung zwischen dem Raum und den Objekten und zwischen der Zeit und den Ereignissen entspricht dem, wie du sie selbst einschätzt; zwischen ihnen gibt es keine, ihnen eigenen inneren Beziehungen.“ (Avadhuta Dattatreya, „Tripura Rahasya“, (Kap. 14).


Vereinigung mit der Einheitssphäre


In die Einheitssphäre hineinzugelangen bedeutet, aus der Bindung durch die linearen Begriffe der Subjekt-Objekt-Beziehungen herauszutreten. Das Ursache-Wirkungs-Gesetz, drei Zeitkategorien (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), drei räumlichen Dimensionen sowie des Dualismus von gut und böse, richtig und falsch, rein und unrein, Inneres und Äußeres, Leben und Tod wird im Bewusstsein transzendiert. Man beginnt mit solchen Begriffen wie Ewigkeit, Unendlichkeit, Nondualität ohne Subjekt und Objekt sowie „Einheitsgeschmack“ aller Phänomene ein spontanes, unbegreifliches Spiel jenseits von Ursache und Wirkung.


Der Kenner Brahmans, der schon in diesem Körper zur Befreiung gelangt ist, wird durch Anhaftungen und Ablehnungen, Freude und Leid, günstige und ungünstige Erscheinungen, die für einen gewöhnlichen Menschen, der an den Körper haftet, natürlich sind, nicht berührt.“ (Sri Adi Shankaracarya, „Vivekachudamani“)


Indem er den Begriff der „Einheitssphäre“ in seine karmische Sicht (sein psychologisches Weltbild, seine Aufzählung semantischer Bedeutungen) aufnimmt, verändert der herausragende Yogi sein Bild über sich als Mensch radikal. Die Gebundenheit des Bewusstseins durch Körper, Raum und Zeit wird transzendiert. Er nimmt die Position des Zentrums der Raumzeit ein; er wird mit der höchsten Quelle des Seins eins.


Ewig bin ich, körperlos und unauslöschlich. Ich bin Sein, Bewusstsein, Glückseligkeit. Und in meinem Wesen bin ich jenseits der fünf körperlichen Hüllen. Ich bin nicht der Handelnde und habe keine Beziehung zu den Taten. Genauso wenig habe ich eine Beziehung zum Genuss. Ich bin durch nichts gebunden. Ich bin der höchste Herrscher. Alle Körperorgane arbeiten ununterbrochen aufgrund meiner Anwesenheit in ihnen. Ich habe keinen Beginn, keine Mitte und kein Ende. Ich bin niemals durch etwas gebunden. Meiner Natur nach bin ich klar und rein. Wahrlich, ich, das Brahman, bin – und daran gibt es keinen Zweifel.“ (Sri Adi Shankaracarya, „Betrachtung Brahmans“)


Als Ergebnis dieser Vereinigung wird der Yogi mit den größten Fähigkeiten Besitzer von unendlich vielen Illusionskörpern in den unendlichen Dimensionen des Universums. Er existiert gleichzeitig nicht nur in Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart, sondern auch in der unendlichen Vielfalt der variativen zeitlichen Universen. Er wird unsterblich.



Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in dem Buch „Leben in der Multirealität. Parasattarka Logik“ von Swami Vishnudevananda Giri. Mehr über den Autor auf https://de.advayta.org.


Weitere Bücher von Swami Vishnudevananda Giri: „Shakti Yantra. Das Leuchten der kostbaren Geheimnisse“, „Nada und Jyoti Yoga“, "Der Pfad der spontanen Erleuchtung", "Kundalini Yoga", „Leben in Gott“, „Ich bin. Spirituelle Alchemie des inneren Universums“, „Laya Yoga“, "Kodes eines Meisters"