Lesetipp Die diskrete Logik und ihre Grenzen

Auszug aus dem Buch von Swami Vishnudevananda Giri "Leben in der Multirealität"


Diskrete Logik ist die sogenannte aristotelische Logik der westlichen Rationalität. Die gesamte wissenschaftliche Welt denkt heute in den Begriffen der aristotelischen Logik. Die Gesetze der formalen Logik sind die Gesetze der Identität, der Widerspruchsfreiheit, des ausgeschlossenen Dritten und des hinreichenden Grundes, also die vier Grundgesetze der formalen Logik. Eines davon, das Gesetz der Identität, besagt, dass, wenn wir das Konzept von A diskutieren, dieses A während der gesamten Diskussion seine Identität nicht ändert. A ist immer A und B ist immer B, A ist nicht B, B ist nicht A. A kann niemals B werden. Weiß kann niemals rot werden, Gutes kann niemals böse werden. Leben ist immer Leben, Tod ist immer Tod. Dies ist eine Welt, in der alles klar abgegrenzt und gegliedert ist.


In manchen Momenten funktioniert diese Logik. Sie passt, wenn man von Berlin nach München kommen muss. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass Berlin nicht München ist, München ist nicht Berlin. München wird niemals zu Berlin, Berlin wird niemals zu München. Wenn man Tickets kauft, muss man dies klar trennen. Diskrete Logik ist nicht schlecht. Sie arbeitet auf ihrem Niveau gut. Wenn man Suppe usw. zubereiten muss, ist kochendes Wasser eben kein nicht kochendes Wasser, und nicht kochendes Wasser unterscheidet sich von kochendem Wasser ...


Wenn man in der Küche beispielsweise anfängt, in unscharfer Logik zu denken und zu sagen, dass es Optionen geben könnte, wird man von den Menschen, die essen möchten, nicht verstanden. Da geht es um konkrete Dinge.


Das Problem dieser diskreten Logik besteht jedoch darin, dass sie sehr eng ist. Sie funktioniert nur in einem bestimmten Spektrum. Sie eignet sich nicht zur Beschreibung komplexer Sichten der Realität, von Prozesse, die im Universum ablaufen. Und vor allem ist sie ungeeignet, die Prozesse der spirituellen Entwicklung zu beschreiben. Das heißt, das Bewusstsein des Beobachters wird nicht in die Denkprozesse, in die Bewertungsprozesse einbezogen. Sie funktioniert in einigen exakten Wissenschaften gut, wenn es darum geht, einfache mathematische Alltagsprobleme zu lösen. Es ist die Logik hinter Newtons Mechanik. Sie hat eine starre Schwarz-Weiß-Vision der Welt. Sie teilt die Welt in Freunde und Feinde, gut und böse, Wahrheit und Lüge. Oft ist jemand, der einer diskreten Logik unterliegt, ständig auf der Suche nach seinen Freunden und Feinden. Daraus besteht für ihn die Welt.


Ein Mensch, der sich auf den spirituellen Weg begibt, muss verstehen, dass sein logischer, diskreter Apparat, bei dem A immer nur A und B nur B ist, hierfür ungeeignet ist. Das Denken muss geändert werden.


Nun diskutieren Christen aktiv darüber, dass viele Menschen aktiv aus der Kirche austreten. Menschen gehen jahrelang in die Kirche, fasten, zünden Kerzen an, tragen Gebete vor, stehen beim Gottesdienst, aber nichts passiert. Ihr Glaube geht verloren, Versuchungen entstehen und sie verlassen die Kirche. Einige Christen diskutieren darüber, wie man Menschen zurück in die Kirche bringen kann. Warum passiert das? Dies geschieht, weil äußere Dinge getan werden, sich aber das innere Denken nicht ändert. Das heißt, ein Mensch kann Hatha Yoga, Asanas und Pranayama machen und einige Bücher lesen, aber er sieht all dies durch das Denken des gewöhnlichen Geistes, auf Grundlage der diskreten Logik eines samsarischen Menschen. Wenn er sich nicht auf eine höhere Ebene des Denkens, des Bewusstseins, bewegt, dann bleibt er derselbe, er verändert sich nicht. Die Aufgabe besteht nicht in Körper- und Atemübungen und auch nicht in Ritualen.


Das Gehirn kann mit einem Computer verglichen werden und das Denken mit Software für das Gehirn. Der spirituelle Weg besteht darin, dass man zuallererst die Denkweise verändern muss. Rituelle Praktiken, Yoga-Techniken und Meditationsarbeit sind dazu da, um das Denksystem zu ändern. Das Ziel ist ein intelligenteres und schnelles Denkprogramm herunterzuladen.


Oft entzweien sich die Menschen entlang religiöser und nationaler Grenzen. Diese Spaltung führt manchmal zu Konfrontationen. Dies ist die Konsequenz der diskreten Schwarz-Weiß-Logik. Im Gegenteil dazu sehen Menschen, die in höheren Logiksystemen denken, nirgendwo Widersprüche, sie sind immer freundlich, tolerant und fröhlich, sie haben keine Probleme. Unabhängig davon, ob jemand Christ, Buddhist, Muslim oder Anhänger des Vedanta ist, lebt man immer in Frieden und Harmonie. Sie spüren eine Gemeinsamkeit, weil sie eine ähnliche Denkweise haben, das heißt, es handelt sich um eine unscharfe Logik, die nicht-diskret und nicht-dual ist.


Die diskrete Logik hat zu vielen Fortschritten in der modernen Wissenschaft und der Technologie geführt. Aber sie brachte auch viele Probleme für die Menschheit mit sich. Kreuzzüge, Religionskriege und Weltkriege sind die Folgen eines stark dualistischen Denkens, denn diskrete Logik führt zur Isolation einer Person weg von ihren göttlichen Wurzeln hin zu einer superegoistischen Logik: Nur ich bin ich, ich bin nicht du, ich bin definitiv anders. Sogar Religion ist, verstanden durch das Prisma der diskreten Logik, eine dualistische Religion, die niemals eine lebendige Erfahrung des Verstehens ermöglicht. Daher ist die diskrete Logik oft durch Intoleranz gegenüber dem Standpunkt der Gegner, durch Festhalten an Wortlauten, bewertende Urteile, Kategorisierungen und Emotionalität gekennzeichnet. Dies ist nicht verwunderlich, da jede widersprüchliche Idee von einem derartigen, diskreten Denken als Bedrohung für die eigene Existenz angesehen wird. Der Denkprozess einer Person läuft dann so, dass man sich angesichts einer anderen Idee bedroht fühlt. Man muss dagegen ankämpfen: „entweder für mich oder gegen mich“.


Im dritten Jahrtausend wirkt die diskrete Logik wie eine veraltete Software, die ständig abstürzt und einfriert. Warum steckt die Menschheit in Schwierigkeiten? Warum kommt es zu Wirtschaftskrisen oder Katastrophen, und die Menschen wissen nicht, was sie tun sollen? Weil sie versuchen, in Begriffen der alten aristotelischen Logik zu denken. Was ist mit den Herausforderungen der Zeit? Die Welt wird immer komplizierter. Aber es ist nur dann möglich, mit der Realität umzugehen, sie zu verwalten und ihre Probleme zu lösen, wenn wir auf einer höheren Ebene denken können, doch es ist schwieriger. Diskrete Logik ist die Logik des konzeptuellen Geistes (Manas). Die Energie des Geistes wirkt nicht von selbst. Gedanken haben keine eigene Grundlage.


Gedanken sind ein Spiel, wie Regenbogenmuster auf der Oberfläche der einheitlichen Bewusstseinssphäre. Wer dieses Geheimnis versteht, vertieft sich in das Studium dieser einheitlichen Sphäre. Wer es nicht durchschaut, bleibt an der Oberfläche hängen und wird von den Mustern gefangen genommen. Basierend auf diesen illusorischen Strukturen baut er ein mentales Modell der Realität auf. Es kommt oft vor, dass ein solches mentales Modell die Realität selbst ersetzt. Dreht sich die Realität in die andere Richtung, ist ein solcher Mensch nicht bereit, angemessen zu reagieren, weil sein Realitätsmodell primitiv ist.

Mehr zum Thema in dem Buch „Leben in der Multirealität. Parasattarka Logik“ von Swami Vishnudevananda Giri


Mehr über den Meister und die Lehre auf https://de.advayta.org und in den Büchern von Swami Vishnudevanda Giri „ Der Pfad der spontanen Erleuchtung“, “Laya Yoga. Das Leuchten der kostbaren Geheimnisse“, „Shakti Yantra“, „Kundalini Yoga“, „Nada und Jyoti Yoga“, „Leben in Gott. Autobiographie eines Jnanis“, „Kodex eines Meisters“, „Spirituelle Alchemie. Der Weg der inneren Askese“, „Ich bin“