Wenn jemand „stur“ die Mitte sucht, polarisiert er auch, indem er die anderen Pole meidet.
Sucht jemand sie Mitte, ohne die vollen Pegelausschläge gleichsam zu beherrschen, ist er lau. Er mag darin "stur" sein, weil er nicht aus der Reserve gelockt werden will oder weil er nicht als eigenständiger Mensch agieren kann oder will und Stellungnahme vermeidet. Nur in einer Gruppe fühlt er sich stark und nimmt nur im Sinne der Gruppe Stellung oder man schließt sich von der Gesellschaft ab.
Wenn jemand einen Pol bevorzugt, polarisiert er.
Ja, aber das ist noch zu unterscheiden. Der eine polarisiert, weil er es nicht anders kennt, weil er die tugendhafte Mitte noch nicht für sich erobert hat. Im Falle des Autokennzeichens war es einer der beiden, der besonders auf seine Wahrnehmung pochte und tendenziell aggressiv wurde, während der andere bedachtsamer blieb und des anderen Wahrnehmung nicht gleich als unwahr ansah, sondern versuchte, neutral zu bleiben und ließ damit die Sache erst einmal stehen. Die Aggression des anderen ließ ihn aber skeptisch werden, nicht aber darin, dass seine eigene Wahrnehmung eine falsche sein könnte.
Den Aggressiven könnte man als dumm bezeichnen, den anderen durch sein bedachtsames Interesse an der Meinung des anderen als tugendhaft.
Ein anderer weiß von beiden Seiten, hat dennoch das Tugendhafte noch nicht für sich erobert und polarisiert daher mit Absicht, nur um seine egoistischen Zwecke zu befriedigen.
Solche Menschen muss man als klug und raffiniert bezeichnen.
Eine Nachbarin ist jemand, die sich in ihre Wohnung zurückzieht und vermeidet, sich in der Gesellschaft zu bewegen, denn sie fürchtet sich vor den Blicken und Reaktionen anderer. Ein Nachbar kam zufällig mit ihr ins Gespräch, sie fasste im Laufe der Zeit Vertrauen zu ihm. Er erkannte bei ihr den fehlenden Gegenpol und empfahl ihr, immer ein wenig den Kopf zu heben und die Nase hochzuhalten, also ausgleichend etwas Arroganz hinzuzufügen.
Die Nachbarin polarisierte durch ihre Depression, während der Nachbar den fehlenden Gegenpol bei ihr erkannte. Er versuchte, ihr einen Impuls zu geben, der in ihr ein wenig Harmonie verschaffen könnte. Den Nachbarn müsste man als tugendhaft ansehen, der in der Welt ausgleichend agiert.
Tugendhaftigkeit bedeutet nicht nur, ein starkes Ich zu haben und sinnbildlich ein mächtiges Schwert mit zwei scharfen Schneiden in der Hand zu halten, ein anderer Begriff ist auch Weisheit, die sich von dem egoistischen Raffinesse der Klugheit unterscheidet, während wegen der fehlenden sprachlichen Unterscheidung umgangssprachlich manchmal Klugheit mit Weisheit verwechselt werden kann. Trotzdem ist es praktisch nicht leicht oder gar unmöglich, beide voneinander abgrenzen zu können.
Noch ertappe ich mich dabei, dass ich ins Urteilen komme: „Wie kann er bloss …“, oder „Warum tut er sich das bloss an …“ usw.,
Was mag jener Nachbar für sich gedacht haben? Es mag schon sein, dass er gedacht hat: "Herrje, wie kann sie nur?!" Es kann auch sein, dass er es nur empfunden hat, statt es in Worte einzufassen. Jedenfalls muss er es ja empfunden bzw. erkannt haben, es kommt halt nur darauf an, wie man damit innerlich umgeht und was man äußerlich daraus macht.
Hätte er sie verurteilt, hätte er ihr nicht helfen können; aber es war natürlich ein Urteil, denn er muss für sich ja ihr Verhalten als ein einseitiges beurteilten können, sonst wüsste er ja noch nicht einmal, dass sie überhaupt der Hilfe bedarf.
Unser Thema ist sehr bereichernd für unsere Menschen(er)kenntnis, finde ich, und schließe mit der (rhetorischen) Frage ab, welcher Art die "Richter" in der Bibel (Das Buch der Richter) anhand dieser Erörterung nach seinem eigenen Gewissen und Empfinden ohne Einflussnahme der üblichen Erklärungen nur gewesen sein konnten.